Reise nach Maĩkon II

 
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Tausend Sterne leuchten über dem Ozean. Vergeblich suchen wir nach einem Sturm, um genau zu sein kommen wir noch nicht einmal voran. Seit zwei Tagen sind wir bereits wieder auf See und können noch immer das Fischerdorf riechen. "Beschissene Flaute", murmelt der Verschlossene neben uns in seinen Bart. Müde liegen wir in der Hängematte und sind dazu verdammt vor uns hin zu träumen. Da vernehmen wir ein lautes Krachen. Erschrocken stürzen wir aus der Hängematte und stoßen uns das Auge am Knie. "Gottverdammte...", beginnen wir, aber da verschlägt es uns auch schon die Sprache. Eines der Fässer, die auf dem Deck stehen, damit wir für einen Schluck vom frisch geladenen Rum nicht so weit laufen müssen, setzt sich in Bewegung. Es fängt an zu kippeln und aus dem Fass dröhnen seltsame Geräusche. Ein wildes Tier! Es muss ein wildes Tier sein, denken wir und da kippt das Fass auch schon zu Seite und kommt auf uns zugerollt. Eilig krabbeln wir, da wir kein anderes Versteck finden, wieder in unsere Hängematte. Und direkt unter uns kommt das Rum-Fass zum stehen. Ein Schnauben ertönt, dann reißt sich das Tier von seinen hölzernen Fesseln los und rennt heulend und jaulend über das Deck. Holzsplitter regnen auf uns herab. Als wir den Kopf heben, bemerken wir, dass auch die Versunkene und der Verschlossene Zuflucht gesucht haben. Der Verschlossene hat sich in die Luke zum Frachtraum geworfen und schaut nun mit großen Augen heraus und die Versunkene hängt irgendwo hoch oben im Mastkorb. "Heiliger Mist.", murmeln wir und beobachten das Wesen, welches allzu menschlich aussieht. Es steht an der Reeling und gibt ein erleichtertes Seufzen von sich, während es leise plätschert. /

"Boa.", gibt das Wesen von sich. Dann dreht es sich herum und ein großer bärtiger Mann wird erkennbar. "He!", brüllt der Verschlossene. "Was hast du hier verloren?" Der Mann ist erschrocken. er blickt sich um, anscheinend, kann er keinen von uns in der Dunkelheit erkennen. "Wer ist da?", ruft er zurück. "Ich bin...", fängt der Verschlossene an. "...der Kapitän dieses Schiffes und ich kann mich nicht erinnern dich wissentlich mit an Bord genommen zu haben." Wir schauen dem Geschehen erschrocken zu. Aus der Dunkelheit kommt der Verschlossene gehumpelt. Der Mann beginnt zu lachen. "Dir fehlt ja ein Bein!", kichert er hysterischer als wir es einem solchen Koloss zugetraut hätten. "Schonmal an einen Ersatz gedacht?" Dem Verschlossenen platzt jetzt völlig der Kragen. "Es sieht so aus, als würdest du hier und jetzt von Bord gehen müssen." "Halt ein!", antwortet der Unbekannte, als er seine Fassung wiedererlangt. "Ich bin nur ein unwichtiger Nebencharakter. Nichts, was man weiter beachten sollte." Vielleicht ist er Schauspieler, denken wir. Wie sonst sollte er darauf kommen sich als unwichtigen Nebencharakter zu betiteln? "Ich bin Schauspieler." Der Verschlossene versucht sich ebenfalls zu beruhigen. "Und was hast du hier verloren?" Der Schauspieler zögert einen Moment. "Nun ja... eigentlich wollte ich nicht hier sein. Ich wollte unbemerkt auf einem Frachtschiff mitreisen. Ich möchte nach Gråstad." Nun ist der Verschlossene an der Reihe zu lachen. "Gråstad? Das liegt nun nicht so wirklich auf unserem Weg." Der Unbekannte nickt. "Hab schon bemerkt. Eigentlich sollte mein Fass schon lange im Lagerhaus stehen. Wohin ist denn dieses Schiff unterwegs?" "Nach Maĩkon." Dem Fremden verschlägt es die Sprache.
Es dauert eine Weile bis er sie wiederfindet. "Wenn dem so ist, dann möchte ich mich euch gern anschließen. Ich habe dort noch einiges zu erledigen." Wir staunen. Offensichtlich treffen wir schon wieder jemanden, der die schwimmende Stadt nicht nur für ein Gerücht hält. Der Verschlossene zögert. "Ich bin Erkim, wenn ich mich vorstellen darf. Schauspieler, wie ich bereits sagte und sicherlich auch ein guter Segler." Der Verschlossene nickt vorsichtig. "Weißt du, wie man die Stadt finden kann?" Erkim lacht wieder, allerdings ist es diesmal eher ein rhythmisches Brummen. "Niemand kann das wirklich von sich behaupten. Aber ich weiß, dass wir die Stadt womöglich finden können." "So willst du uns nach all deinen Möglichkeiten unterstützen?" Erkim nickt. "Darf ich den Rest der Mannschaft sehen? Wir benötigen viel Manneskraft um dieses Schiff durch den großen Wind zu steuern." "Der große Wind?", fragt der Verschlossene. Erkim antwortet nicht. Wir nutzen die Pause um aus dem Schatten zu treten. "Außer uns ist noch eine weitere Person an Bord. Reicht das aus?" Erkim schaut erschrocken zu uns herüber. "Niemals! Wie habt ihr ein solch großes Schiff zu dritt nur aus dem Hafen steuern können?" Wir grinsen. Anscheinend hat sich der Schauspieler noch nicht so genau umgesehen. "Was würdest du sagen, wenn ich sagte, dass es sich bei diesem Schiff um die Yara handelte?", raunt der Verschlossene dem blinden Passagier ebenfalls grinsend zu. Erkim setzt sich mit geöffnetem Mund auf die Planken. Einige Zeit blickt er um sich und atmet schwer. Als er ausreichend Luft geholt hat, antwortet er. "In diesem Fall haben wir nicht das geringste Problem."

Den Rest des abends verbringen wir redend auf dem Deck. Eine alte Petroleum-Lampe spendet lebendiges Licht und zum ersten Mal seit langem haben wir wieder das Gefühl, dass sich die Stimmung wirklich hebt. "
Wir treiben hier wahrscheinlich schon seit Tagen auf der gleichen Stelle, habe ich recht?", spricht Erkim. Wir nicken alle wie auf Kommando. "Das wundert mich nicht. Lasst mich euch eine Geschichte erzählen." Wir machen es uns gemütlich um der Erzählung zu lauschen.//

"Es war ein Land, das im Meer versank, welches Maĩkons Grundstein legte. Das Meer war damals besonders tobend und alles was Festland war, alles was einen Anker hatte, wurde überspült. Darunter auch der Kontinent Mukur. Und alles Leben wurde ausgelöscht, auf diesem Kontinent, bis auf das einiger weniger Menschen. Diese hatten, die Flut kommen sehen. Nicht metaphorisch, sondern tatsächlich. Von weitem. Einer von ihnen war Holzfäller und einer Zimmermann. Einer war Schiffsbauer und es waren diese drei, die in windeseile Bäume fällten, sägten und in wenigen Minuten aus dem Nichts ein Boot erschufen. Kaum waren sie fertig, kaum saßen sie in der provisorischen Zuflucht, als sie auch schon vom Meer überrollt wurden. Außer ihnen waren ihre jeweiligen Frauen und einige Kinder auf dem Boot und von einem ihrer Jungen abgesehen überlebten sie alle. Sie schwammen auf der Oberfläche der schäumenden Massen und sahen tiefunter sich im tiefen Blau ihre Heimat versinken. Zuerst sah es so aus, als würden sie nicht lange leben, ohne Essen ohne Süßwasser ohne alles was man zum leben braucht, doch nach einigen Tagen rissen sich die ersten Bäume aus dem ehemals dicht bewaldeten Landstrich los und trieben herauf. Da begann das große Wachsen. Das Boot wurde ausgebaut, und ausgebaut, Flöße wurden daran festgemacht und bald schon Stand dort ein kleines Haus. Gelegentlich wurden Kisten angespült mit Nahrung  und lebensnotwendigen Rohstoffen und ganz selten auch ein Überlebender oder ein Tier. Und so wuchs die Stadt immer weiter. Als der Meeresspiegel irgendwann wieder sank, beziehungsweise das Universum sich erhob, war die Stadt fertig und immer wieder reisten Fremde dorthin und manche von ihnen blieben."

"Warum ist es denn so schwer die Stadt zu finden?", fragt einer von uns. 

"Die Stadt wurde vor dem Tod des Holzfällers, des Zimmermannes und des Schiffsbauers mit einem Zauber belegt, sodass jeder gleiche Qualen wie die drei erleben muss, bevor er die Stadt erreichen kann. Es war eine Magierin aus der Familie der Sunhít, wenn ich mich recht erinnere. Es soll den Menschen, die zur Stadt reisen zeigen, was die Erbauer geleistet haben. Ich persönlich halte die drei für ziemlich aufgeblasene Herren, wenn sie solche Zauber in Auftrag geben. Und bevor mich wieder jemand unterbricht... Die Stadt kann nicht gefunden werden von denen die sie suchen, denn auch für die Gründer der Stadt war es nicht vorhersehbar, dass sie errettet werden würden."

"Aber wir können sie doch finden? Mit dir?", fragen wir.

"Es gibt einen kleinen Fehler im Zauber. Wer schon da war, findet immer wieder hin, auch wenn er es nicht sagen kann. Nun denn... den Sturm werden wir trotzdem über uns ergehen lassen müssen!" , flüstert Erkim leise.

Kaum hat er geendet, straffen sich auch schon ruckartig die Segel. Die Öllampe verlischt, es beginnt zu regnen.