Lagerfeuer

Willkommen am Lagerfeuer! Hier werden spannende Geschichten und Märchen erzählt, die allesamt auf unserer Insel spielen. Zum Teil sind sie sicherlich auch für das allgemeine Verständnis der Insel und ihrer Bewohner sinnvoll. Also setze dich und höre zu...
 
Lagerfeuergeschichten                                             

1) Eine traurige Lagerfeuergeschichte
(Nach dem Lesen bitte die Bemerkung weiter unten beachten!)

Hoch in den Höckerbergen, dort wo das ganze Jahr über Schnee fällt, stand einmal ein kleines Haus. Umgeben von Tannen und dornigem Gestrüpp lag es abseits von allem anderen. Es war verlassen und das wahrscheinlich schon seit der Zeit in der es erbaut worden war, denn dort zu leben stellte sich auf kurz oder lang für jeden der es versuchte als zu ungemütlich heraus.
Nun trug es sich aber zu, dass ein kleines Mädchen mit dem Namen Linnéa genau an diesem Haus vorbeikam...

Ihre Familie war wegen den ketzerischen Gedanken, die ihr Vater angeblich in einem Wirtshaus von sich gegeben hatte bei einer Opferzeremonie hingerichtet worden. Auch sie hätte in den Augen des weisen Penars* hingerichtet werden sollen, doch der Henker, der für das Ertränken der Opfer zuständig war hatte eine Tochter, die dem Mädchen dem er nun das Leben nehmen sollte so ähnlich war, dass er es nicht übers Herz brachte. „Tauche hinfort!“, flüsterte der riesige Mann ihr ins Ohr, bevor er sie unter Wasser drückte. Als sie unter Wasser war und keiner sie mehr sah, ließ er sie los. Wie alle Inselbewohner konnte sie gut schwimmen und so glitt sie an den herumtreibenden Körpern ihrer Familienmitglieder vorbei und brach in einiger Entfernung wieder durch die Wasseroberfläche. Sie sah noch, wie der Penar und alle Schaulustigen davonliefen. Nur der Henker blieb zurück und blickte noch einmal durch die Henkersmaske in die Ferne.
Linnéa, die völlig erschöpft am Strand zusammenbrach vergoss noch zahllose Tränen, bis die Ohnmacht sie endlich der Realtität entriss.

Das kleine Mädchen streifte in den folgenden Tagen über Wiesen und durch Wälder, konnte die Trauer nicht abschütteln. Sie wurde mager und krank und sah ganz fürchterlich aus, als sie irgendwann den Fuß des Gebirges erreichte. Dort fand sie etwas, was arme Bewohner der Insel nur selten finden: Hoffnung. Denn eine Geschichte die ihr Vater gern erzählt hatte, wenn er über die G'sounkh-Fanatiker herzog war die des alten Greises. Die Geschichte handelte von einem alten Mann der sich im hohen Alter auf den Weg gemacht hatte um noch einmal das Meer zu sehen. Er starb auf dem Weg dorthin und weil sein Körper vor dem richtigen Moment das zeitliche gesegnet hatte, schenkte ihm der große G'sounkh sein Leben zurück. Wenn der Vater geendet hatte, hatte er laut gelacht und vom Wahnsinn geredet, der die Gläubigen gepackt haben musste. „Wie kommen sie nur auf solche Ideen?“, schimpfte er jedes Mal aufs neue wenn er diese Geschichte oder eine ähnliche erzählt hatte. Und Linnéa, die nur von der Hoffnung am Leben gehalten werden konnte, glaubte so fest sie konnte daran, dass ihr Vater sich geirrt hatte und dass der große G'sounkh, wenn es ihn gab, ihrer Familie das Leben zurückschenkte. Denn auf jeden Fall waren sie vor ihrer Zeit gestorben. Das Mädchen machte sich nun daran, die steinigen Felsen und erdigen Hügel zu erklimmen, kam immer höher hinauf und obwohl es immer kälter wurde und sie fror hielt sie nicht inne, bis sie die kleine Hütte erreichte.

Müde wie sie war, wollte sie sich nun doch noch eine Pause gönnen und schaufelte den Schnee beiseite um die Tür zu öffnen. Als sie endlich eintreten konnte, empfing sie eine wohlige Wärme. Ein Feuerchen flackerte im Kamin und drum herum saßen ihr Vater, ihre Mutter und ihre Geschwister. „Kann das sein?“, fragte sie. Ein Lächeln schoss in ihr Gesicht. Ihr Herzschlag beschleunigte sich vor Freude und sie wollte alle Namen auf einmal rufen, in die Luft springen, dem großen G'sounkh auf Knien danken.
„Nein. Es kann nicht sein.“, antwortete ihr Vater und löste sich in Windeseile gemeinsam mit den anderen in Luft auf. Das Kaminfeuer erlosch und mit ihm auch das letzte bisschen Leben, welches gerade noch in Linnéas Herz entflammt war.

Und was lernen wir daraus?
Der große G'sounkh existiert und kann Wunder geschehen lassen und Leben schenken, doch er schenkt es nur denen, die auch glauben können. Und das auch nur manchmal.

Bemerkung: Gläubige Eltern erzählen diese Geschichte gerne ihren Kindern um sie vom Zweifeln abzuhalten. Aus Sicht der Traumreisenden und anderen Zweiflern handelt es sich hierbei jedoch nur um an den Haaren herbeigezogene Märchen. Seit unserer Rettung*² ist auch bewiesen, dass G'sounkhs Erbarmen nicht nur Gläubigen zuteil wird, wenn denn wirklich G'sounkh unser Leben rettete und nicht irgendeine andere höhere Macht beziehungsweise wenn nicht eine schlichte und logische Erklärung für dieses „Wunder“ zu finden ist.

*    siehe Bibliothek: Pesar/ Pesi, Der/ Die
*²  siehe Zurück aufs Meer und G'sounkhs Erbarmen 

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2) „Der weiße Elch“ - Eine Wintergeschichte
(Nach dem Lesen bitte die Bemerkung weiter unten beachten.)
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Erster Teil)
Der eisige Wintersturm hatte eine kleine Hütte unter einer Schneedecke begraben. Der Himmel hatte eine grau-blaue Farbe und leuchtete grell auf den noch heller leuchtenden Schnee herunter. Man hätte meinen können, dass es Tag war, doch es stand ein runder Mond am Himmel. Mit zahllosen Narben übersäht blickte das Gesicht des steinernen Riesen zu seiner großen Schwester hinüber. Nicht weit entfernt vom Haus, wo der alte Wald im Schatten eines Berges lag, tauchte nun ein großer weißer Elch auf. Das stolze Tier, welches um einiges größer war, als es einem Elch in den Augen der Naturbeobachter zustand, schritt in einer langsamen und fließenden Bewegung auf das verdeckte Häuschen zu. Erst bei genauerer Betrachtung konnte man feststellen, dass sich etwas lebendiges auf seinem Rücken befand. Es handelte sich um einen kleinen Jungen, der sich, in einen dicken Pelz gehüllt, an den zotteligen Haaren des Elches festkrallte. „Sag mal, Elch. Sind wir bald da?“, sprach der Junge. „Aber Liam, nenne mich doch beim Namen.“, grummelte das stattliche Tier. „Entschuldige, Alvin. Sind wir bald da?“ Alvin der Elch zuckte auf die eigentümliche Weise mit den Schultern, auf die nur Elche mit den Schultern zucken können. „Wir sind ganz nah, aber ich sehe noch kein Haus.“ Damit gab sich der Junge vorerst zufrieden. Er legte seinen Kopf wieder an den Hals seines pelzigen Gefährten. Der Elch schritt weiterhin vorsichtig und stolz durch den tiefen Schnee und ließ sich nicht ein einziges Mal vom heftigen Wind aus dem Gleichgewicht bringen. Er dachte nach, denn das tat er gerne, wenn er nicht gerade träumen konnte. Er überlegte, was für seltsame Umstände ihn mit dem Jungen zusammengebracht hatten. Wie jedes Jahr, war er zum großen Winterwettkampf der Elche gegangen, hatte die anderen durch Kraft und Anmut überzeugt und wie schon immer den großen Zweikampf gewonnen. Zwar gab es unter den Elchen keine Hierarchie, wie bei den Menschen üblich, aber trotzdem begegnete ihm jedes Tier, das er traf mit Respekt und auch die Menschen hatten Respekt vor ihm, wenn sie nicht gerade Jagd auf ihn machten. Darauf war Alvin stolz. Doch der Mensch den er dort zwischen den zahllosen Hufen anderer Elche traf behandelte ihn mit ganz besonderer Erfurcht. Ein großer Mann, der von Alvin trotzdem deutlich überragt wurde, war an ihn herangetreten und hatte ihm mit zitternder Stimme etwas ins Ohr geflüstert. Dann hatte er in eine Richtung gezeigt und war kurz darauf verschwunden. Alvin war seiner Bitte gefolgt, hatte den Jungen, der nicht weit entfernt unter einem Baum saß auf seinen Rücken klettern lassen und ihm gesagt, sie würden einen kleinen Ausflug machen. Er musste ihn so weit fort wie möglich bringen, bevor es zu spät war. Alvin schnaubte müde. Der junge Liam tat ihm leid. Aus irgendeinem Grund mochte er den Jungen.
Mittlerweile hatte der Elch den Schneehügel erreicht, unter dem sich die Hütte befand. Als er seinen Kopf neigte und seine Schnauze schnüffelnd auf den Schnee drückte, wäre Liam beinahe von seinem Rücken gefallen, doch er konnte sich im letzten Augenblick festhalten. „Mensch Alvin, was machst du denn da?“, schimpfte er. „Ich schnüffle.“, grummelte der Elch. „Steig ab. Ich muss den Schnee wegmachen.“ Liam gehorchte und sprang vom Rücken des Tieres, als es in die Knie ging um ihn herunterzulassen. Dann begann Alvin damit, sein Geweih in den Schnee zu schieben und mit einer ruckartigen Kopfbewegung beiseite zu schleudern. Als er einmal im Rhythmus war und den Schnee erst rechts, dann links von sich warf, ging es sehr schnell. Nach wenigen Minuten kratzte Alvin mit seinem Geweih an der Haustür der Hütte und Liam war mit Schnee bedeckt und zitterte. „Komm mit.“, grummelte der Elch und stieß die Tür mit einem Huf auf. Gemeinsam gingen sie hinein in die finstere Höhle. Es war rabenschwarz im Inneren der Hütte, denn die Fenster waren vom Schnee gegen alles Licht abgeschirmt. Nur durch die offene Tür fiel ein leichter Schimmer. „Du bist hier der Mensch. Also musst du Licht machen.“, grummelte Alvin. Liam war erschrocken, denn er hatte keine Ahnung, wie man ein Feuer machte. Er wollte das nur ungern zugeben, also suchte er den Kamin und fand schließlich ein kleines Päckchen mit Streichhölzern. Er nahm eines heraus und riss es an. Eine keine Flamme tanzte fröhlich um den Holzspan. Eilig warf er einige Holzscheite, die in einem großen Korb lagen in den Kamin und schmiss das Streichholz hinterher. „Es ist wieder ausgegangen.“ Alvin guckte grimmig. Liam kam eine Idee. „Ich glaube Papa hat immer Papier mit rein getan.“, rief er. Er riss ein weiteres Streichholz an, zerknüllte einige Zeitungen, die ebenfalls in dem Korb mit dem Holz zu finden waren und legte sie unter das Holz im Kamin und entzündete sie. Diesmal klappte alles und das Feuer wuchs munter. „Ein Wunder.“, grummelte Alvin. Kurz darauf, schloss Liam die Tür, warf seinen Mantel über einen Stuhl und setzte sich neben dem Elch ans Feuer. Von seinem nassen Pelz befreit kuschelte sich der Junge nun an den warmen Bauch des Elches und schon bald schlummerten beide friedlich dahin.

Zweiter Teil)
Am nächsten Morgen wurde Alvin in vollkommener Finsternis wach. Das Feuer war verloschen. Orientierungslos blickte er sich um. „Liam.“, grummelte er. „Mach bitte Licht.“ Der Junge hob seinen Kopf und fuhr erschrocken zusammen. „Aber Elch, wo sind wir denn?“ Der Elch schnaubte. „Aber nenne mich doch beim Namen Liam.“ Der Junge entschuldigte sich, wie er es immer tat, wenn er vergaß seinen Begleiter mit seinem Namen anzusprechen. Schnell fand er die Tür, öffnete sie und brach urplötzlich in sich zusammen. „Jetzt ist es wohl soweit.“, sagte Alvin zu sich und schaute betroffen zu, als der Junge zu husten begann. Etwa zehn Minuten brauchte Liam um sich wieder zu beruhigen. Am Ende saß er zitternd an den Türrahmen gelehnt und blickte hinaus in den winterkalten Morgen. „Ich bin krank.“, sagte Liam und blickte zu Alvin hinauf. „Ich weiß.“, antwortete dieser und stupste die Schulter des Jungen vorsichtig mit seiner Schnauze an. Dann setzten sie ihre Reise fort. „Wo werden wir heute rasten?“, fragte er und der Elch antwortete „Im Tor am Ende des Tunnels.“ Liam nickte und legte seinen Kopf an Alvins Hals. Stunden lang schritt das Tier durch die Kälte ohne zu rasten und das im fürchterlichsten Schneesturm. „Sind wir bald da Alvin?“, fragte der Junge irgendwann. „Wir sind ganz nah, aber ich kann noch nichts erkennen.“, antwortete der Elch. Der Wind brauste und toste derweil ohne Unterlass. Liam, der sich immer häufiger von quälenden Hustattacken geschüttelt in das Fell des weißen Freundes krallte war fürchterlich kalt. Und genau in dem Moment, als der Sturm am schlimmsten wütete, als die Schneeflocken zu Eisbrocken wurden und waagerecht zum Erdboden auf die beiden zuschossen, gerade in dieser Situation, die sich bereits als eine äußerst gefährliche darstellte, fielen die Bergwölfe über die beiden her. Mit lautem Geknurre sprangen sie hinter Schneehügeln hervor und warfen sich mit gefletschten Zähnen auf den weißen Elch und seinen Schützling (Man mag meinen, dass die Wölfe ebenfalls mit dem Sturm zu kämpfen hatten, doch über den riesigen Muskelbergen tragen die Bergwölfe eine dicke Fettschicht und ein noch dickeres Fell. Kälte ist ihnen ein Fremdwort und Schmerzen kennen sie ebenfalls nicht. Sie jagten im Rudel, teilen ihre Beute gerecht und vermeiden Machtkämpfe untereinander. Und außerdem sind ausgewachsene Exemplare fast so groß wie der riesige Elch Alvin). Doch der tapfere Alvin, der überrascht war, weil er die Feinde im Unwettern nicht hatte wittern können, war nicht überrascht genug um sich nicht zu wehren. Mit einem lauten Brüllen ging er in Kampfhaltung und schmiss sein kräftiges Geweih mit aller Kraft gegen die Körper der Wölfe, wenn sie zu nah herankamen. Bald schon zogen sich blutige Striemen über die Felle der Bergwölfe und dieser Tag sollte der werden, an dem sie lernten was Schmerzen sind. Dennoch waren sie nicht kleinzukriegen und im Gegensatz zum Elch waren sie zu viert und über alle Maßen hungrig.
Einige Zeit konnte sich Alvin gegen die wilden Tiere wehren, doch dann ließen seine Kräfte nach. Als es einem der Wölfe schließlich gelang seinem gefährlichen Geweih auszuweichen und seine schwarfen Reißzähne in Alvins Schulter grub, fiel zu allem Übel auch noch Liam von seinem Rücken. Ein besonders schlimmer Hustanfall hatte ihn übermannt. Voller Schmerzen krümmte er sich im Schnee und hustete schlimmer als jemals zuvor. Tränen rannen über seine Wangen und wurden zu Eis. Wenn er nicht hustete schrie er und bäumte sich auf. Und Alvin sein treuer Begleiter, der neben ihm zusammengebrochen war, hörte alles mit an. Sein riesiges Herz donnerte noch immer kraftvoll. Der Elch glaubte all die Schmerzen, die Liam quälten zu spüren und es packte ihn eine unbändige Wut. Sein Herzschlag wurde lauter und lauter und dann, als er glaubte es würde gleich seinen Brustkorb sprengen, stand er trotz der Fleischwunde in seiner Schulter von einem lauten Brüllen begleitet auf. Die Wölfe wichen zurück. Zwar war es sinnvoll vor einem wütenden Opfer zurückzuweichen, das hatten selbst sie in den Jahren gelernt, doch in diesem Fall hätte sie nur eine schnelle und kopflose Flucht gerettet. Alvin stürmte auf den ersten Wolf zu, den er im Schneegestöber erkannte und rammte ihm sein mächtiges Geweih in die Seite. Das riesige Ungetüm flog anscheinend gegen alle Gestze der Natur mehrere Meter durch die Luft, bis es dumpf auf dem schneebedeckten Boden aufschlug. Der nächste Wolf büßte bei einem Tritt ins Gesicht einige Zähne und sein Bewusstsein ein. Bewegungslos sank er zu Boden. Der dritte verhakte sich im Geweih des Elches und stürzte, sich mehrmals überschlagend, den Hang hinunter. Der vierte warf sich ihm freiwillig hinterher und landete neben seinem Gefährten mit dem Kopf in einer Schneewehe. Alvin nutze diese Gelegenheit um den mittlerweile ruhigen Jungen mit seinem Geweih emporzuheben. Dann humpelte er mit seinem verletzten Bein weiter durch den Schnee. Hinauf zum Tor am Ende des Tunnels. Dort angekommen legte er den bewusstlosen Liam vorsichtig ab, bettete sich schützend neben ihm auf dem steinigen Boden und leckte seine Wunden.

Dritter Teil)
Siebzehn Teufel! Was hat uns da der Winterwind gebracht?“, krächzte eine kleine Gestalt. „Der Winterwind, der Winterwind welch freundlicher Bursche. Danke Wind und bitteschön: Ein Kuss von mir.“ Mit einer ausholenden Handbewegung schleuderte die Gestalt einen Handkuss in die Winternacht hinaus. „Wie bringe ich sie hinein? Der Alte wird sich freuen! Nur wie bringe ich sie hinein?“, fuhr er mit seinem Gekrächze fort und tanzte um Liam und Alvin herum. Er sah aus wie ein zu klein geratener Mensch, doch seine Körperproportionen waren völlig falsch verteilt. Sein Kopf war zu groß, seine Ohren lang und spitz. Seine Beine dünn und knorrig seine Füße und Hände riesig. Außerdem hing aus einem Loch im Hinterteil seiner Hose ein langer Rattenschwanz. Hätte er nicht so lustig dahergeredet und wäre er nicht so hilflos um die beiden Freunde herumgehopst, hätte man beinahe Angst vor ihm haben können. „Sie sollen aufstehen, von selbst, allein. Aufstehen! Los aufstehen ihr gammligen Fischköpfe!“, begann er zu krakeelen. „Los, auf - auf, euch beiden bleibt nicht Zeit genug. Steht auf!“ Und irgendwann, als der kleine Wicht gerade auf den Rücken des Elches klettern wollte um auf ihm herumzuspringen und ihn auf die Weise zu wecken, schlug dieser die Augen auf. Mühsam hob er den Kopf. „Was bist du für ein Kerl?“, fragte er erstaunt, als er den Knirps im Dämmerlicht erkannte. Der sprang nun noch eifriger auf und ab. „Wer ich bin? Ich bin... eine gute Frage. Doch! Ich führe euch ins Dunkel!“, dann blieb er schlagartig stehen. Er schaute verträumt zum noch immer schlafenden Liam hinüber. „Ist er schon tot etwa?“, fragte er leise. „Nein. Noch lebt er. Wo genau führst du uns hin?“, flüsterte der Elch seine Antwort. „Tief hinein! Der Alte freut sich!“, schrie der verrückte Kobold nun lautstark und verschwand im Inneren der Höhle. Alvin schüttelte träge den Kopf. Wieder hob er den schlafenden Liam mit seinem Geweih auf und trug ihn dann humpelnd und schwer atmend in die tiefen der Höhle hinein. Die Finsternis hatte die drei Gestalten vollkommen verschluckt, als Liam erwachte. „Das Licht am Ende des Tunnels.“, flüsterte er in der festen Überzeugung, dass er tot war und dass er auf des Licht am Ende des Tunnels zuging um ins Reich des großen G'sounkh zu kommen, so wie es ihm in seiner Kindheit oft erklärt wurde. Doch er irrte sich. Weder war er tot, noch ging er auf das Licht zu. Es wurde immer kleiner und war irgendwann garnicht mehr zu sehen. Alvin verließ sich auf sein Gehör, welches das beständige Tapsen des Knirpses vor ihnen registrierte und versuchte auf dem unebenen Boden nicht zu stolpern. Er träumte vor sich hin, denn das tat er am liebsten, wenn er nichts anderes zu tun hatte. Was tat er eigentlich? Er brachte einen Menschen, der von seinem eigenen Vater verstoßen worden war, weil er an einer tödlichen und ansteckenden Krankheit litt in die höchstgelegene Höhle im Land. Und das alles nur, weil er sich auf ein Gerücht verließ, welches seit hunderten von Jahren unter den Elchen verbreitet wurde. Was war der Mann nur bösartig gewesen. „Bring ihn so weit weg, wie es geht. Er stellt eine Gefahr für alle dar.“, hatte er ihm ins Ohr geflüstert. Woher kannte der Mann das Geheimnis? Woher wusste er, dass weiße Elche Wünsche erfüllen mussten? Alvin konnte nicht einschätzen, wie lange sie sich schon im Dunkeln befanden. Irgendwann hörte er auf zu denken und lernte, was es ist zu sein. Dann nach wenigen Minuten oder gar Jahren zuckte er zusammen, denn als er an sich herunter blickte, bemerkte er, dass das Fell an seiner Schulter grell leuchtete. Auch Liam, der sich bereits damit abgefunden hatte tot zu sein, leuchtete. Im fiel auf, dass er einen Lichtkegel an die steinige Wand warf, wenn er den Mund öffnete. Außerdem fiel ihm auf, dass er im Geweih des Elches lag und es rannen ihn Tränen der Freude über die Wangen, weil sein Freund bei ihm war. „Sind wir tot, Elch?“, flüsterte er. „Aber Liam, nenne mich doch beim Namen.“, grummelte Alvin und da musste Liam nur noch mehr weinen. Der kleine Knirps, der vor den beiden umhersprang begann plötzlich ein Lied zu trällern.

Heile, heile lieber Berg
Mach sie wieder ganz
Tu es für den kleinen Zwerg
Ich auch für dich tanz'

Das ist ein blödes Lied“, raunte Liam seinem Freund zu, woraufhin ihm der Zwerg einen bösen Blick zuwarf. Liam konnte ihn im Licht, welches aus seinem Mund schien gut erkennen. „Alvin, was passiert hier?“, fragte er. Der Elch grinste auf die eigentümliche Weise, auf die nur Elche grinsen können und flüsterte: „Der Berg heilt uns.“ Liam versagte die Stimme, also schwieg er. Je tiefer sie hineingingen, desto schwächer leuchteten die beiden Freunde. „Hepp! Das habt ihr toll gemacht, toll gemacht. Der Alte mag euch. Nun hinaus! Hinaus! Ihr tretet kaputt. Mein schöner Tisch!“, verfiel der Zwerg ins Fluchen. „Raus hier! Los!“ Und da rutschte der Junge auf den Rücken des Elches herunter und als dieser zu rennen begann, drückte Liam seinen Kopf an den Hals seines Freundes. Das Licht am Ende des Tunnels wurde größer.

Bemerkung: Die Geschichte wird gern an kalten Winterabenenden erzählt. Sie beschreibt, wie der weiße Elch, der allein schon ein Mythos ist, zu seinem Reiter kam. Früher gab es noch einige weitere Geschichten vom weißen Elch und seinem Reiter, doch die Schriftstücke darüber sind schon vor langer Zeit verschollen.